Bis vor Kurzem, sagt Oliver Nordmann, sei er kein großer Anhänger von alkohol-freiem bier gewesen. Der Geschmack habe ihn einfach nicht überzeugt. „Ich bin jetzt erst zum Anhänger geworden“, sagt der Unternehmer und nimmt noch einen Schluck des naturtrüben Biobieres, das in einem Glas mit der Aufschrift Ratsherrn vor ihm steht. „Das hier kann ich wirklich guten Gewissens als hervorragendes alkoholfreies Bier bezeichnen.“ Sein Urteil ist keineswegs überraschend. denn das, was er da trinkt, ist das jüngste Produkt aus der Hamburger Ratsherrn-Brauerei. Nordmann ist deren Geschäftsführender Gesellschafter. Da ist Eigenlob für das Organic Ale Alkoholfrei praktisch Pflicht. Doch aus Nordmann spricht vor allem Zufriedenheit –vielleicht sogar Erleichterung – darüber, dass Ratsherrn ein alkoholfreies bier präsentieren kann, dass seinen Ansprüchen genügt.
„Ich bin erst jetzt zum Anhänger von alkoholfreiem Bier geworden.“ – Oliver Nordmann, Geschäftsführender Gesellschafter der Ratsherrn-Brauer
„Wir haben fast zwei Jahre Experimentiert, viele Sude gebraut und immer wieder festgestellt, dass es das noch nicht ist“, sagt der Brauerei Chef. „Wir haben lange nach dem richtigen Hopfen gesucht. Manchmal lag der Alkoholgehalt dann doch über den zulässigen 0,5 Prozent, oder das Bier war zu malzig.“ Er selbst gehörte offenbar zu den kritischsten Verkostern dessen, was da in der langen Entwicklungsphase aus den Braukesseln floss. „Im Sommer hieß es ,Jetzt haben wir es endlich, jetzt passt alles‘, mir hat es aber immer noch nicht richtig gut geschmeckt“, erzählt Nordmann. Doch mittlerweile ist auch er überzeugt, dass der Craft-Beer-Brauerei in den Schanzenhöfen ein wirklich gutes Alkoholfreies gelungen ist. Anfang 2020 kommt das Biobier fast ohne Prozente auf den Markt. Zunächst im eigenen Craft Beer Store an der Lagerstraße (Sternschanze) sowie im Ratsherrn-Onlineshop. Dann in der Gastronomie, in Bio-Märkten und gut sortierten Craft-Beer-Shops, schließlich und sobald die Produktionsmenge ausreicht, auch in Super- und Getränke-Märkten, Tankstellen, Kiosken. Ratsherrn wird an immerhin etwa 6000 Orten – vor allem in Norddeutschland – ausgeschenkt und verkauft.
Mit ihrem ersten Alkoholfreien ist die 2012 eröffnete Brauerei ziemlich spät dran. Die großen Hersteller bieten Biere mit weniger als 0,5 Prozent Alkohol schon seit Jahrzehnten an. Mehrere der experimentierfreudigen Kleinproduzenten aus der wachsenden Hamburger Craft-Beer-Szene haben den Trend ebenfalls schon aufgegriffen. „Ich war lange der Meinung, dass alkoholfrei nicht zu uns passt und dass wir uns zunächst auf die klassischen Biersorten konzentrieren sollten“, sagt Nordmann. Der Spross einer Gastronomen- und Bierhändlerfamilie führt mit einem Bruder die Nordmann-Unternehmensgruppe, einen Gastronomie Zulieferer. 2006 erwarb er von Holsten zunächst die Vertriebsrechte für die einst in der Elbschlossbrauerei in Nienstedten hergestellten Ratsherrn-Biere. Das Image der einstigen Premiummarke in der Gastronomie lag damals „im Dornröschen-Schlaf“, so Nordmann. In den Regalen von Einzel- und Fachhandel war sie kaum noch zu finden. Drei Jahre später sicherte sich Nordmann auch die Markenrechte, und noch einmal drei Jahre später begann der Neustart mit der eigenen Brauerei in der Sternschanze.
Dort entstehen heute um die 20 unterschiedlichen Sorten wie Matrosenschluck, Zwickel, India Pale Ale und das alkoholstarke Kaventsmann, die zum Dauersortiment gehören, Saison- und Spezialbiere in kleinen Chargen wie ein Rauch-Pilsener zur Spargelsaison, Quittenbier oder das mit allerlei Gewürzen aromatisierte Pfeffersack.
Das Alkoholfreie ist die brave Schwester des Bio-Ratsherrn …
… Und nun auch alkoholfreies Biobier. Ratsherrn kann und will sich dem Markttrend nicht länger entziehen. Der Absatz wächst hierzulande stetig, während zugleich weniger herkömmliches Bier getrunken wird. Nach Zahlen des deutschen Brauerbundes wurden 2018 erstmals mehr als sechs Millionen Hektoliter (600 Millionen Liter) alkoholfreies Bier hergestellt, zehn Jahre zuvor waren es erst 2,8 Millionen. Der Anteil am gesamten Biermarkt stieg in diesem Zeitraum von knapp 3,1 auf gut 7,2 Prozent. Bei Ratsherrn ist das erste Alkoholfreie so etwas wie die kleine, brave Schwester des ersten Biobiers aus den Schanzenhöfen.
Das Ratsherrn Organic Ale (5,3 Prozent Alkohol) kam vor einem Jahr auf den Markt. „Braugerste und Brauweizen werden biologisch-dynamisch angebaut und kommen zum größten Teil von unserem eigenen Hof auf Rügen“, sagt Nordmann. Auch die Hop-fensorten Hallertauer Tradition, Calista und Comet erfüllen Bio-Standards. Davon wird mehr als üblich verwendet, weil der Geschmacksträger Alkohol fehlt. Das alkoholfreie wird zusätzlich kaltgehopft. Und auf dem türkisfarbenen Etikett der Flasche finden sich Tipps, zu welchen Speisen es passen könnte. Zum Caesar’s Salad mit Hähnchen etwa und zu Zitronenrisotto. Oder zu Apfelkuchen.
Das alkoholfreie Ratsherrn ist das zweite Biobier aus der Brauerei.
Viel Geschmack zu einem fairen Preis
Produkt:
Das Organic Ale alkoholfrei der Ratsherrn Brauerei ist ein obergäriges, naturtrübes, kaltgehopftes Biobier, das aus gersten- und Weizenmalz, speziellen Hefestämmen, Wasser und den drei Hopfensorten Hallertauer Tradition, Calista und Comet gebraut wird. Der Alkoholgehalt beträgt weniger als 0,5 Prozent.
Verfügbarkeit:
Die neue Sorte kommt Anfang 2020 auf den Markt und wird vom 2. Januar an zunächst im Ratsherrn Craft-Bier-Store in den Schanzenhöfen und im Onlineshop der Brauerei verkauft. Anschließend beginnt die Auslieferung an die Gastronomie. Ab wann das Alkoholfreie im Sortiment von Einzel- und Fachhandel sein wird, steht noch nicht genau fest.
Preis:
Die unverbindliche Preisempfehlung für den Handel beträgt 1,29 Euro pro 0,33-Liter-Flasche. Vergleichbar alkoholfreie Craft-Biere kosten oft mehr als 2 Euro pro Flasche. In der Gastronomie dürfte das Organic Ale alkoholfrei zu Preisen zwischen 3 und 4 Euro in der Karte stehen.
Nährwerte:
0,1 Liter der Biersorte enthalten 22 Kalorien und 4,4 Gramm Kohlenhydrate, davon 2,3 Gramm Zucker.
Geschmack:
Das Urteil der Tester fällt durchweg positiv aus. Schön fruchtig mit deutlichen Zitrusnoten, wirklich lecker, sehr süffig, hopfig-frisch, deutlich besser als industriell hergestelltes alkoholfreies Bier, ein nettes Getränk, wenn man keinen Alkohol will, perfekt für einen Sommerabend am Elbstrand, heißt es. Eine Einschränkung gibt es bei allem Lob aber auch: Es dürfte etwas mehr „Kick“ haben und noch stärker nach Bier schmecken.
Fazit:
Sollte man unbedingt einmal oder mehrmals probieren. Hier stimmt fast alles. Der Preis ist für ein Craft-Bier sehr fair. Sämtliche Tester vergeben 5 oder 4,5 Sterne. Letzteres etwas häufiger. Das alkoholfreie Ratsherrn schrammt deshalb nur denkbar knapp an der Höchstwertung vorbei.
Das Gespräch führte Heiner Schmidt. Erschienen im Hamburger Abendblatt (Weihnachtsausgabe, 24-26. Dez. 2019)
Fotos: Michael Rauh
DIE NORDMÄNNER
1908 als Bierverlag gegründet ist die Nordmann Unternehmensgruppe heute einer der größten Getränkefachgroßhändler Deutschlands. Zur Gruppe gehört neben dem Getränkehandel auch die Ratsherrn-Brauerei und die Hamburg Beer Company – eine Vertriebs- und Vermarktungsagentur für eigene und befreundete Bierbrauer weltweit. Über den Dienstleister kommen internationale Craft-Größen wie Brew Dog oder Mikkeller exklusiv in die deutschen Märkte. Drittes Standbein sind die eigenen Braugasthäuser, darunter das zur Brauerei gehörende „Alte Mädchen“. Außerdem hat die Gruppe noch einen 20-Prozent-Anteil an der einst von ihr gegründeten und später an Transgourmet verkauften Team Beverage AG. Geführt wird die Gruppe von Fritz-Dieter und Oliver Nordmann. Bruder Jürgen hat im Zuge der Unternehmensaufteilung 2010 unter anderem die Stralsunder Brauerei übernommen und braut dort das erfolgreiche Störtebeker.
DIE RATSHERRN
1951 wurde zum ersten Mal Ratsherrn Pilsener ausgeschenkt, gebraut in der Elbschloss-Brauerei. Im Zuge mehrerer Übernahmen kam die Marke später zur Holsten- Gruppe – die sie bei der KönigÜbernahme im Jahr 2000 aus Wettbewerbsgründen wieder abgeben musste. Nach Zwischenstation bei einem Finanzinvestor übernahm die Nordmann-Gruppe Mitte der Zweitausender Jahre erst die Vertriebs-, später dann auch die Markenrechte. Gemeinsam überlegten die neuen Inhaber, wo die Reise der Ratsherrn hingehen soll – die Antwort war eine Mischung aus Hamburger Braugeschichte und neuer Craft-Bier-Bewegung. Neben den Themen Heimat und Pils steht Ratsherrn heute vor allem für Kreativität und Sortenvielfalt. Die drei Braumeister Thomas Kunst, Philip Bollhorn und Ian Pyle probieren jeden Tag Neues aus, wie Ratsherrn-Chef Oliver Nordmann sagt. Heimat der 2012 eröffneten Brauerei sind die denkmalgeschützten Schanzenhöfe. Dort wurde 2018 erstmals die Marke von 50 000 Hektolitern überschritten.